Gewissensbisse am Bromo-Vulkan
Canggu, Bali | April 2023 | Autorin: Andrea | Bilder: Andrea
Man könnte uns gut und gerne als durchgeknallt bezeichnen in Anbetracht dessen, welches Programm wir uns in den letzten drei Tagen auferlegt haben. Wir sind nämlich 20 Stunden Auto gefahren und haben 760 Kilometer (auf löcherigen Landstrassen) zurückgelegt. Haben zwei indonesische Inseln bereist und zwei Vulkane bestiegen und täglich 2-3 Mal Reis gegessen. Konkret haben wir uns eine Vulkan-Tour auf der Nachbarsinsel von Bali, Java, gebucht. Nach der ereignisreichen Woche mit unserem Mietauto in Nord-Bali haben wir uns nun für das Rundum-Sorglos-Paket entschieden: Besichtigung der Vulkane Bromo und Ijen inklusive zwei Übernachtungen, einem privaten Guide (das ist hier so üblich), einem Fahrer und Pick-up-Service von unserem Hotel in Canggu im Süden Balis.
Die Reise startet am Dienstag um 7 Uhr. Unser balinesischer Fahrer bringt uns in knapp 3 Stunden an den Hafen von Gilimanuk im Westen der Insel. Dort würden wir von unserem Guide erwartet, hiess es. Eineinhalb Stunden später steht Sigit dann vor uns. Aufgrund der lokalen Feiertage – es ist das Ende von Ramadan und die mehrheitlich muslimisch geprägte Bevölkerung Indonesiens geniesst ihren Urlaub irgendwo im Land – ist viel los und Geduld ein begehrtes Gut. Die Fährfahrt rüber nach Java dauert normalerweise keine halbe Stunde. Schliesslich, eine gemächliche einstündige Überfahrt und einen gezuckerten Kaffee von der Schiffskantine später betreten auch wir zusammen mit unzähligen Einheimischen – wir sind die einzigen westlichen Menschen auf der Fähre – die Insel Java.
Auf Java fallen uns sofort die vielen Moscheen und Kopftücher tragenden Frauen und Mädchen auf. Unsere Fahrt führt durch ganz und gar untouristische Gefilde. Vor allem der aggressivere Fahrstil finden wir gewöhnungsbedürftig: Überholt wird links und rechts, gedrängelt wo man nur kann und auch rote Ampeln sind wohl nur eine Empfehlung. Es gäbe keine Verkehrsregeln, erklärt uns unser Guide, während der Fahrer nebenan halsbrecherisch durch Dörfer manövriert. Nach sechs Stunden – mittlerweile ist es längst dunkel – erreichen wir unser Hotel. Ein Mie Goreng (gebratene Nudeln) und eine Dusche später liegen wir bereits im Bett.
Um 1:40 Uhr klingelt an diesem Mittwoch unser Wecker. Auf der rudimentären Rückbank eines Jeeps werden wir auf über 2‘200 Meter über Meer zum Bromo chauffiert. Mit uns teilen 2‘000 andere Jeeps und ein paar hundert Roller das Vorhaben. Es ist stockdunkel, als wir um 4:00 Uhr beim Sunrise Point ankommen. Auch hier sind wir umringt von indonesischen Personen. Die Zeit überbrücken wir bei einem Kopi (Kaffee) in einem sehr authentischen Kaffee. Wir sitzen auf kleinen Plastikhockern und wärmen unsere Hände am Feuer vor uns. Die indonesische Frau serviert uns traditionellen Instant-Kaffee und frittierte Bananen. Sie fällt mir auf, denn sie hat einen Gesichtsausdruck, der Geschichten erzählt. Dieser Kaffeeklatsch mit unserem Guide in dieser einheimischen Atmosphäre ist eines unserer Highlights des Tages. Es ist so unglaublich spannend, in diese fremde Kultur einzutauchen. Um 5:20 Uhr erwarten wir die Sonne jedoch vergebens – der Nebel ist dicht und wir sehen nicht viel mehr als an einem nebligen Herbstmorgen an der Reuss. Ja, auch das gehört zum Reisen! Wir verlassen den Aussichtspunkt kurze Zeit später und fahren bergab. Wir sind nicht die einzigen und so stehen wir kurze Zeit später im Stau. Nichts geht mehr! Es ist bereits nach 8 Uhr als wir beim Krater des Vulkans angelangen. In einem kurzen Fussmarsch erreichen wir den Kraterrand – müde Beine könnten sich auf einem Pferderücken hochtragen lassen. Wir verzichten darauf. Auf dem Kraterrand erwartet uns ein spektakulärer Blick in das Innere des Vulkans. Es ist, als würde man unter die Erdkruste blicken: Schwefliger Gestank, tosendes Brodeln und weiss-grauer Nebel steigen aus dem riesigen Kessel auf. Es ist unglaublich eindrücklich, direkt ins Herz dieses Vulkans zu blicken. Bleibend ist auch die Realität, mit der wir dort hoch oben konfrontiert werden: Überall liegt Müll, der oftmals vor unseren Augen in der Natur „entsorgt“ wird. Auch im Vulkankrater türmen sich Abfallberge. Dazu kommen die Abgaswolken dieser unzähligen Jeeps, die sich wie auf einem Ameisenhaufen auf Bromo bewegen. Und ja, wir sind Teil des Problems, denn wir sind auch da. Niemand hat hier einen Anreiz, den Verkehr zu minimieren – so viele Jobs hängen dran. Einmal mehr befinden wir uns im Zwiespalt: Der Tourismus sichert hier auf Indonesien Existenzen, das ist klar. Wie wir jedoch auf Bromo einmal mehr erfahren mussten, ist der Tourismus leider auch hier in keinster Weise nachhaltig. Im Gegenteil – beim Anblick, wie hier mit der Umwelt umgegangen wird, blutet mein Herz. Uns wird einmal mehr bewusst, dass dieses Land – wie so viele andere auch – andere Punkte auf der Agenda hat.
Ereignisreiche 7 Stunden später sind wir zurück beim Hotel, wo Nasi Goreng, Eier und Toast auf uns warten. Wir packen unsere sieben Sachen und weiter geht’s: Nächster Halt Licin, unser Startpunkt für die Tour auf den Ijen-Vulkan am Donnerstag. Wir nehmen eine Abkürzung und fahren durch sattgrüne Dschungel-Wälder, Kaffeeplantagen und mitten durch den Ijen Geopark. Während eines Rasts bei einem kleinen Wasserfall wird Dominik von jungen Indonesiern angesprochen und gebeten, mit ihnen auf einem Gruppenfoto zu posieren. Gemäss unserem Guide ist es für ländlich lebende Indonesier noch immer ein Highlight, einen westlichen Touristen zu sehen. Das Foto, ein Garant für einige Likes auf dem indonesischen Facebook-Profil. Nächster Halt ist ein lokales Restaurant; zum Abendessen wird Reis, Gemüse und Erdnuss-Sauce serviert – kurz darauf liegen wir erschöpft vom langen Tag im bequemen Bett eines Guesthouse mitten im Nirgendwo.
Magischer Sonnenaufgang und eine unvergessliche Begegnung auf dem Ijen
Autor: Dominik
Der Vulkan namens Ijen mit seinem türkisfarbenen Kratersee ist ein begehrtes Ausflugsziel – sowohl für ausländische als auch indonesische Touristen. Entsprechend viele Leute nehmen den rund 4,5 Kilometer langen Anstieg zum Krater in Angriff. Im Gegensatz zum Vulkan Bromo gibt es keine Strasse nach oben, weshalb der Sonnenaufgang mit einem Fussmarsch verdient werden muss. Die findige Lokalbevölkerung erkannte jedoch auch hier eine Geschäftsidee: Für rund 50 Franken können sich Touristen in einen gepolsterten Schubkarren setzen und sich von drei Männern den Berg hochziehen lassen – auf den steilen und steinigen Pfaden Schwerstarbeit für die Männer. Mit unserem Guide laufen wir selbstverständlich selbst. Mit einer Taschenlampe ausgerüstet schlägt Sigit zu Beginn ein hohes Tempo an; wir überholen alle anderen Wanderer. Mit jedem zurückgelegten Kilometer verlangsamt sich das Tempo unseres Guides. Und nach einer kurzen Pause vor dem letzten Drittel des Weges, nachdem Sigit als gläubiger Muslim sein kurzes Morgengebet sprechen musste, führte Andrea unsere Gruppe mit hoher Geschwindigkeit dem Vulkan entgegen. Am Kraterrand angelangt, lachte uns die aufgehende Sonne entgegen. Der Anblick war überwältigend: Im Krater der eisblau schimmernde See, umrandet von kargen grauen Felswänden, gelb leuchtende Schwefelablagerungen und aus dem Krater aufsteigender beissender Schwefeldampf – im Hintergrund der grün bewaldete Vulkan Raung und das ruhig daliegende Meer, aus welchem die Sonne emporstieg. In die Jacke gehüllt machten wir einige Fotos und genossen es, diesen wunderschönen und fast schon surreal wirkenden Ort besuchen zu dürfen.
Auf dem Rückweg trafen wir einen Mineur, welcher hier am Vulkan Ijen Schwefel abbaut. Da der Grossvater unseres Guides hier als Mineur gearbeitet hat, kennt Sigit die Arbeiter. Die Begegnung mit dem Mineur, welcher seit über 30 Jahren das gefährliche Mineral abbaut, ist eindrücklich. Dreimal täglich tragen die Mineure eine 70 Kilogramm schwere Ladung Schwefel mehrere hundert Meter aus dem Krater heraus, um diese anschliessend im naheliegenden Bergwerk zu verkaufen. Pro Kilogramm abgebautem und auf der Schulter transportiertem Schwefel erhalten die Mineure 6 Rappen. Für 200 Kilogramm getragene Last am Tag ergibt dies einen täglichen Lohn von 12 Franken. Der Preis dafür ist hoch; so zeigt uns der Mineur seine Schulter, welche nach 30 Jahren Schwerstarbeit mehrfach gebrochen ist. Die 50‘000 indonesischen Rupien, welche wir ihm in die Hand drücken, ersparen es ihm, an diesem Tag 50 Kilogramm zu tragen. Bei uns hinterlässt das Treffen mit ihm einen bleibenden Eindruck; es ist eine dieser Geschichten, welche wir für immer in uns tragen werden.
Nachdenklich machen wir uns auf den Rückweg. Regelmässig begegnen wir Schubkarren mit Touristen, welche sich den Berg hochziehen lassen.
Nach gebratenem Reis zum Frühstück werden wir zum Hafen von Ketapang gefahren. Nach einer herzlichen Verabschiedung von Sigit sowie unserem Fahrer besteigen wir die in die Jahre gekommene und vor sich her rostende Fähre zurück nach Bali. Beim Ablegen des Schiffs werfen einige Passagiere Geldnoten ins Wasser. Mutige junge Männer aus dem Dorf springen vom Steg ins Wasser und fischen die Noten aus dem Meer. Die Schiffsschraube erhöht ihre Drehzahl gefährlich nahe bei den ins Wasser gesprungenen Teenager. Die Passagiere erhoffen sich durch die Spende Glück für die Überfahrt, während die furchtlosen Männer ihre Familien mit dem gefischten Geld unterstützen. Wir gönnen uns, wie bei der Hinfahrt, einen überzuckerten Kaffee im Plastikbecher aus der Schiffskantine. Auf Bali angelangt, wartet bereits ein Taxi auf uns. Drei Stunden später befinden wir uns zurück in Canggu; glücklich darüber, für Morgen keinen Wecker stellen zu müssen.